Ist ein Videospiel ein Auto?

Christian Schmidt hat einen lesenswerten Artikel bei Spiegel Online veröffentlicht.
Darin führt er die aktuelle Misere der Computerspielzeitschriften darauf zurück, dass deutsche Spieletester heute wie seit Anfang der Spielezeitschriften immer noch Spiele allein an ihren Features und der technischen Umsetzung messen. Darstellung eines gesellschaftlichen Kontextes, Ausleuchten von Hintergründen, den Fokus weg von der puren Funktionsbeschreibung hin zur Interpretation zu richten fordert Schmidt.
Und erdreistet sich dann auch noch, den guten alten Coregamer nicht mehr als Hauptzielgruppe der Computerspielpublikationen zu bezeichnen.
Das führt natürlich zu vehementem Widerspruch eben jener Core-Gamer, die Schmidt Ahnungslosigkeit in Bezug auf seine Thesen vorwerfen. Dazu kommen die üblichen Beißreflexe wie etwa die Behauptung, Tests in Spielemagazinen seien ohnehin durchweg von den großen Spielefirmen gekauft.
Nun mag man Christian Schmidt so manches vorwerfen können, Ahnungslosigkeit im Bereich des Computerspielejournalismus aber ganz sicher nicht.
Schmidt war langjähriger Tester bei der Gamestar, zum Schluss dort stellvertretender Chefredakteur und hat seit über zehn Jahren den langsamen Niedergang der Spielezeitschriften hautnah miterlebt.
Insofern weiß der Mann, worüber er spricht. Man könnte ihm natürlich vorwerfen, dass er selber ja auch ähnlich geabeitet hat, aber damit würde man außer Acht lassen, dass Schmidt in seinen Artikeln sehr wohl versucht hat, Facetten jenseits der bloßen technischen Features auszuleuchten und möglicherweise auch die von ihm als unbefriedigend empfunden Situation des deutschen Spielejournalismus zu seinem Weggang bei der Gamestar geführt hat.
Sind seine Thesen aber auch richtig? Will der Leser denn einen Spielejournalismus weg von der bloßen Preview- und Featureberichterstattung? Sollte man endlich davon wegkommen, Spiele zu benoten wie Schulkinder?
Grafik: Sehr gut, Sound: Sehr gut, Waffenauswahl: Ungenügend?

Ganz klares Jein.

Ein Spiel ist natürlich zuallererst einmal ein technisches Produkt. Und so, wie ich bei einem Auto gerne wüsste, mit welcher Ausstattung ich rechnen darf, wenn ich einen Haufen Geld auf den Tisch lege, wieviel PS es hat, ob es klappert beim Fahren oder vielleicht sogar schlechter gebaut ist als sein Vorgängermodell, so will ich das auch erst einmal bei einem Spiel wissen: Läuft es auf meinem Rechner? Tröpfelt der Sound mickrig aus den Boxen oder haut mich die Wucht um? Wiederholt sich die Spielemechanik nach einer Stunde oder entdecke ich auch nach fünf Stunden noch Neues? Kurz: Welche Gegenleistung erhalte ich für mein Geld? Diese Informationen sind wichtig für mich, denn ich lege ja auch für ein Spiel nicht ganz wenig Geld auf den Tisch und möchte deswegen vor einem Fehlkauf möglichst bewahrt werden.

Gleichzeitig will ich aber auch, dass Spiele als mehr als nur ein im besten Falle sehr unterhaltsames Technikprodukt wahrgenommen werden.
Wenn ich möchte, dass die Gesellschaft Computerspiele ernst nimmt und nicht als Kinder- und Nerdkram abtut, der eine bloße Zeitverschwendung darstellt (im Gegensatz zur immer gerne zitierten Beschäftigung mit einem "guten Buch" oder sportlichen Aktivitäten an der frischen Luft), dann muss auch eine entsprechende inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Medium Spiel und seiner gesellschaftlichen Relevanz stattfinden.
Mir ist auch klar, dass der x-te Egoshooter dabei wenig als Betrachtungsobjekt geeignet ist, aber es erscheinen immer wieder (und immer mehr) neue Spiele, die durchaus zulassen, dass man sich mit ihnen auseinandersetzt weit über die Beschreibung von Waffentypen und Endgegnern hinaus.
Beides gleichermaßen zu leisten, Computerspiele weder als Produkt ausschließlich für Freaks noch für Intellektuelle darzustellen ist es, was ich mir vom Spielejournalismus wünsche.

Der Wunsch ist leider zur Zeit ein frommer und bislang konnte ich mir nur damit helfen, dass ich eben zwei Zeitschriften, eine für den technischen Test und eine für das Drumherum gekauft habe.
Das ist natürlich nur eine unbefriedigende Lösung und es wird höchste Zeit, dass endlich einmal versucht wird, beides unter einen Hut zu bringen.
Ich weiß nicht, ob das wirklich alte Leser hält oder sogar neue dazu gewinnt.
Wer ausschließlich "Angry Birds" und Konsorten auf dem iPhone spielt, wird kein Bedürfnis nach seriösem Spielejournalismus verspüren. Wer Computerspiele ausschließlich als Möglichkeit sieht, Stress und Agressionen abzubauen, genauso wenig.
Wer sich aber schon seit langer Zeit fragt, warum denn Spieletests seit Jahrzehnten nach Schema F ablaufen müssen und ob man da nicht auch einmal etwas anders machen kann, wird damit vielleicht das finden, was ihm (oder ihr) bislang gefehlt hat.

Kommentare

  1. Das Jein ist gut. Denn die Leser haben ja auch jeder für sich verschiedene Maßstäbe, mit denen sie ein Spiel bewerten. Will ich ein technisch gutes Produkt? Dann brauche ich auch Infos dazu. Oder zus Steuerung etc etc..
    Mich zum Beispiel interessiert vor allem das Feeling eines Spiels, aber eben auch technische Details, Sound, Steuerung etc. Kaufentscheidend sind für mich aber diese Artikel eigentlich niemals.

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  2. Das würde ich so unterschreiben - ein Produkt kann einen noch so hohen künstlerischen und/oder gesellschaftlichen Anspruch haben, aber wenn es in ruckeliger Pixelgrafik daherkommt, wird sich wohl nur wenig Spielspaß (und um den sollte es ja auch immer gehen) einstellen.
    Das ist ja die Crux der meisten serious games, die zwar oft unterstüzenswerte Anliegen vertreten, aber durch ihre technisch schlechte Umsetzung kaum jemanden ansprechen.
    Technische Fragen sind wichtig, aber eben nur als eine Seite der Medaille. Ich will eben auch mal ganz gerne etwas über Hintergründe wissen, über Emotionen, die erzeugt werden - schließlich fluche ich selber ja nirgendwo sonst so exzessiv wie bei einer Partie Killzone oder CoD.

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  3. Ich seh schon, die Thematik polarisiert die Branche an allen Ecken und Enden.
    Der Technische Aspekt ist für mich eher zweitrangig. Was interessiert mich HRD, Bilineares Filtering und wie der ganze Kram heißt, wenn das Spiel keine Seele hat. Spielspaß steht bei mir schon seit über 20 Jahren an erster Stelle. Das einzige was zwingen in einem Test stehen sollte sind die Systemanforderungen. Mehr brauche ich nicht.
    Ich gebe af die sogenannten Test von diesen "Experten" übrigens schon lange keinen Pfifferling mehr, sondern hohle mir lieber die Infos aus dem "Munde" anderer Spieler. Die sind wenigsten ehrlich bzw. stehen zu ihrer subjektiven Meinung.
    Leider sind die Printmeden was den Bereich Games angeht über die Jahre hinweg immer mehr in den Hintergrund getreten und haben stetig abgebaut. Eigentlich traurig!

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  4. Das setzt natürlich voraus, dass man von seinem Aktualitätsanspruch zurücktritt.
    Ich kann nur denn einen sorgfältigen Test erwarten, der mir auch etwas über die Substanz eines Spiels verrät, wenn ich dem Tester genügend Zeit dafür gebe.
    Wer möglichst drei Tage vor Erscheinen eines Spiels schon alles wissen will, muss dann eben auch damit leben, dass er einen 08/15-Test erhält, der eben nicht tiefer geht als die Auflistung, wieviele verschiedene Waffen Deus Ex bietet.
    Das muss gar nicht bei jedem Spiel so sein, aber hin und wieder wünsche ich mir schon eine etwas umfassendere Betrachtungsweise über die reinen auflistbaren Fakten. Schließlich ist ein Spiel kein Auto.
    Was die von Herrn Schmidt losgetretene Diskussion angeht, ist es schon interessant, wie jetzt überall ausgeteilt und zurück gebissen wird. Hat ein wenig von Kindergarten.

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  5. Das mit dem Fluchen vom Herrn Falcon kann ich bestätigen...mein lieber Schwan!
    Alles andere auch.
    Man sollte sich, so denke ich, von DEM Printmagazin oder Website verabschieden, und je nachdem, was man gerade spielen möchte (oder zum Kaufe neigt), sich bei einer spezialisierten Website informieren.
    Klingt verrückt?...ist's auch....klappt aber.
    Nur um die absoluten Tiefschläge der Branche zu erkennen, sollte man zu den üblichen verdächtigen gehen(da auch diese zielsicher die schlechten spiele erkennen). Ansonsten ziehe man spezialisiertes Personal zu Rate. Will sagen:
    Wenn Du ein Strategie Spiel spielen magst, such dir eine Seite, die genau sowas testet. Das sind dann Jungs und Mädels die Ahnung haben und auch einen direkten Vergleich nicht scheuen.
    Als Beispiel sei hier im MMO Bereich Massively und Tentonhammer genannt.

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