Werden Videospiele (endlich) gesellschaftsfähig?


Das Bekenntnis, auch als erwachsener Mensch und ansonsten mehr oder minder weitestgehend anerkannter Teil der Gesellschaft gelegentlich oder regelmäßig mal am PC oder an einer Konsole zu zocken, löst häufig bei den Zuhörern einen regelrechten Beißreflex aus.
Die Reaktionen gehen von einem eher mitleidigen „Du weißt wohl mit deiner Zeit nichts Besseres anzufangen“ über gutgemeinte Ratschläge „Lies doch lieber mal ein gutes Buch / Treib doch lieber Sport!“ bis zur puren Ablehnung „Also mit so einem Mist kann ich ja überhaupt nichts anfangen!“.

Die Tatsache, dass man dazu noch häufig bei den Typen, die meinen, durch das medienwirksame Abschlachten ihrer Mitschüler / Lehrer / gänzlich Unbeteiligter ihrer bemitleidenswerten Existenz zumindest zu etwas, wenn auch schalem, Ruhm zu verhelfen, das eine oder andere elektronische Spiel fand (neben diversen echten Waffen, Heavy-Metal-Scheiben und vermutlich auch Graubrot, worauf ich hier aber gar nicht eingehen will), das man mit etwas bösem Willen als „Killerspiel“ deklarieren konnte, trug ebenfalls nicht gerade zur gesellschaftlichen Akzeptanz von PC- und Videospielen bei.
Man braucht wohl an dieser Stelle gar nicht darüber zu diskutieren, welch himmelschreiender Unfug es ist, ein Spiel wie World of Warcraft zum Killerspiel zu ernennen, aber es reichte auf jeden Fall aus, um in der breiten Öffentlichkeit einen gewissen Abscheu gegenüber dieser Form der elektronischen Unterhaltung zu wecken und aufrecht zu erhalten.
Dass ein Medium wie das Fernsehen nicht selten in weitaus größerem Maß zur Verdummung und / oder Infantilisierung der Bevölkerung beiträgt, wird hingegen verdrängt oder bestenfalls als nicht zu vermeidendes Übel hingenommen.

Langsam scheint sich aber das Blatt zu wenden.
Musste ich noch im Jahr 1985 den Kauf meines Atari ST gegenüber meinen Eltern damit begründen, dass man mit dem Teil ganz hervorragend mathematische und sonstige Aufgaben lösen konnte (was sicher auch der Fall ist, aber ganz sicher nicht mein Grund für den damaligen Kauf war), dürfte wohl den meisten Eltern heute klar sein, dass der Quadcore mit GeForce-Grafik nicht allein zum Vokabeltraining herangezogen wird.
Noch wichtiger als die familiäre Akzeptanz ist aber die öffentliche Wahrnehmung.
Wenn ich morgens mit der Bahn zur Arbeit fahre, stelle ich fest, dass mittlerweile beinahe jeder Zweite ein Smartphone zückt und darauf irgendein „Drei-in-einer-Reihe- / Kartensortier- / Kistenstapelspiel“ spielt.
Es sind längst nicht mehr nur die (laut RTL-Beitrag zur GamesCom) „blassen, übelriechenden und dunkel gekleideten“ jungen Männer, die dazu noch unter dramatischen sozialen Defiziten leiden, sondern da spielt auch der ältere Herr in Schlips und Anzug und die Mittvierzigerin löst ihr Sudoku auf dem iPhone. Selbst meine Mutter, ihres Zeichens bekennende Vidoespielverweiger- und -sinnlosfinderin wurde Gerüchten zufolge zu Weihnachten dabei beobachtet, wie sie mit wachsender Begeisterung mittels Wii-Fernbedienung virtuelle Bowlingkugeln in die virtuellen Pins schmetterte.

Man kann selbstverständlich zurecht einwenden, dass das ja alles keine „echten“ Spiele sind. Von der Komplexität eines „Age of Empires“, von der grafischen Brillanz eines „Gears of War“, von der Emotionalität eines „Heavy Rain“ ist das alles weit entfernt, aber trotzdem hilft es, das Medium Video- / Computerspiel in ein ganz anderes Licht zu rücken.
Es sorgt nämlich dafür, dass der Spieler nicht mehr als soziale und möglicherweise sozial verkümmerte Randgruppe wahrgenommen wird, sondern als Teil der Gesellschaft.
Genau das ist es, wofür man als Spieler, auch wenn man sich selber eher als Core-Gamer begreift, Apple und Nintendo dankbar sein sollte:
Sie haben das Spielen an PC und Konsole aus seinem belächelten Nischendasein heraus geholt und gezeigt „Seht her, jeder spielt gerne!“

Natürlich ist auch klar, dass es immer noch ein weiter Weg ist (zumindest in Deutschland, andere Länder sind da schon ein ganzes Stück weiter), bis das Medium Computerspiele auch als kultureller Wert anerkannt wird - da haben Theater, Literatur und Film dem Ganzen einfach einige Jahrzehnte bis Jahrhunderte (wenn nicht sogar Jahrtausende) voraus. Und genauso kann man sicher sein, dass es auch immer wieder einmal Anfeindungen bis hin zur Forderung nach Verboten, Zensur oder Ähnlichem.
Aber die ersten Schritte sind gemacht.
Jetzt ist die Spieleindustrie an der Reihe zu beweisen, dass sie es tatsächlich auch verdient, ernst genommen und gesellschaftlich anerkannt zu werden.

Kommentare

  1. Ich schreie es ja schon seit JAAAAHREN jedem ins Gesicht, der...
    1. es nicht hören will und...
    2. Videospielen kulturellen oder künstlerischen Wert absprechen will:

    SHADOW OF THE COLLOSSUS
    DAS ist Kunst!... in jeder Hinsicht.
    ...und es wird sogar getötet. Also ist auch was für Bildzeitungs Leser dabei.
    Aber es stimmt, seit Nintendo (Wii) und Apple ist es ein wenig einfacher zuzugeben, wie man seine freien Stunden verbringt.

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    1. Ich habe es immer noch nicht gespielt, aber gelobe hiermit feierlich, es bald zu tun.
      Heute morgen saß übrigens ein Herr Typ "honoriger Geschäftsmann" in der Bahn und spielte "Minecraft" auf seinem Laptop. Schaut irgendwie interessant aus.

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  2. Wahre Worte. Deshalb mag ich Nintendo auch so. Jetzt muss nur noch eine Brücke zwischen Casual und Core geschaffen werden. ^^
    Gut, dass dieses Thema in 20-30 Jahren ganz vom Tisch sein wird. Die Videospielverweigerer und schlechtreder sind ja zum Glück eine aussterbende Art und ein Großteil der heutigen "Jugend" steht der Thematik deutlich offenen gegenüber.

    Schaut mal ein paar Jährchen zurück. Diese Generationenkonflike gab es schon immer und haben sich immer von selbst gelöst. Ob nun Rock n Roll, Pornos oder Computerspiele. Alles wurde/wird irgendwann Gesellschaftsfähig, auch wenn man einige Sachen nie öffentlich breittreten wird. xD

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  3. Ich muss mich als fast fünfzigjährige WoW-Spielerin immer und überall erklären- und die häufgste Reaktion ist ein unwirsches "Da kann ich nix mit anfangen". Aber angeblich geht die hohe Politik uns da allen mit gutem und meinungsbildendem Beispiel voran. Wurde nicht Wolfgang Sch. im Hohen Haus beim Sudoku-Spiel geknipst?

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  4. Sudoku ist ja auch was mit Zahlen und Löchern stopfen - da ist er als Finanzminister ja geradezu prädestiniert.

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